Weihnachtsgeschichte: "Weihnachtsbäume"

Irgendwie fühle ich mich schuldig, zumindest mitschuldig. Ich fühle mich mitschuldig am Tod zahlreicher Tannenbäume. So ca. 35 dürften es inzwischen sein.

Wie ich darauf komme und warum gerade jetzt? Nun, ich habe heute einen Tannenbaum gekauft. Das ist an sich nichts Besonderes. Ich mache das jedes Jahr, seitdem ich eine eigene Familie habe. Bis dahin erledigten das meine Eltern. Es hat für mich so gesehen eine lange Tradition. Weihnachten ohne Tannenbaum? Undenkbar!
Doch heute war alles etwas anders. Der freundliche Tannenbaumverkäufer drückte mir nach dem Bezahlen einen kleinen Zettel in die Finger, nicht größer als eine Postkarte. Das Papier war bedruckt und trug die Überschrift: Tipps für ein langes Weihnachtsbaumleben!

 

Nachstehend enthielt das Blatt sieben Hinweise zum Kauf des Baumes und seiner anschließenden „artgerechten“ Pflege. Die Aufzählung endete mit dem Ergebnis „Nun hält der Weihnachtsbaum problemlos bis ins neue Jahr!“

 

So, so! So einfach ist das also. Beachte ich die Hinweise und Tipps, hält der Baum problemlos bis ins neue Jahr. Und danach? Entsorgung, Schredder, Kompostierung. Darüber befanden sich keine Hinweise auf dem Merkblatt.

 

Ich geriet ins Grübeln. Worüber? Tja, das ist schnell gesagt. Mir wollten die ersten Worte, die auf dem Zettel standen, nicht mehr aus dem Kopf gehen. „Tipps für ein langes Weihnachtsbaumleben“.

 

Was die Verkäufer so unter einem langen Leben verstehen. Das bedeutet für einen Weihnachtsbaum von Heilig Abend bis beispielsweise Heilige Drei Könige gerade einmal rund 14 Tage. Ganz schön kurz für ein „langes Leben“.

 

Rechneten die Händler dabei die bisherige Lebensdauer des Baumes im Wald oder einer Baumschule etwa mit? Dann kämen bei einer Nordmanntanne in Mannesgröße ungefähr acht bis zehn Jahre oben drauf. Aber darf man so rechnen? Muss man ehrlicherweise nicht unterscheiden zwischen einem „Tannenbaumleben“ und einem „Weihnachtsbaumleben“?

 

Immerhin können Nordmanntannen 40 bis 60 Meter in die Höhe wachsen. Von einem Lebensalter von bis zu 500 Jahren ganz zu schweigen. Tannenbäume als Weihnachtsbäume in spe haben da keine Chance. In der Regel taucht die mörderische Axt des Waldarbeiters genau genommen im Säuglingsalter einer Tanne auf. Eigentlich schade!

 

Die Tipps für ein langes Weihnachtsbaumleben sind sicher gut gemeint, doch unterm Strich Humbug. Weihnachten dauert nie lange und selbst mit den Tipps nicht länger. Und das Ende des Baumes ist mit seiner Pflanzung in der Tannenschonung längst beschlossene Sache. Der Setzling soll so schnell wie möglich wachsen und Profit bringen.

 

Ein leicht makabrer Gedanke kommt mir da noch in den Sinn. Vielleicht gelangen die kompostierten Weihnachtsbäume eines Tages wieder in einer Baumschule und verhelfen ihren heranwachsenden Brüdern und Schwestern beim schnellen Gedeihen. Aber das lassen wir besser.

Wie dem auch sei, ein wenig ins Grübeln hat mich dieser Merkzettel schon gebracht. Oder war er, vom Baumverkäufer natürlich völlig ungewollt, seitens einer „höheren Instanz“ sogar als Denkzettel gedacht?

© Klaus-Gunther Häuseler, epubli Verlag


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